Auf der Erde liegend. Über mir wölbt sich der Himmel. Ich sehe durch das Blattwerk und denke, ich bin ein Baum:

„Erde gefüllt mit Leben. Wurzelwerk, Laub, Humus, Käfer und alles was kriecht und sich bewegt. Und in dieses Erdreich fällt mein Samen. Wühlt sich ein, bedeckt sich, schaut sich um. Wärme, Kälte, Nässe, alle Jahreszeiten. Mein Wurzelwerk beginnt sich zu verästeln, sucht, findet Halt. Und dann der Wunsch nach Licht, Helle. Das stossen, das ziehen nach oben. Hallo, ich komme. Ich will Platz. Durchstosse die Erde. Und schaue umher, was es da alles so gibt. Und ich spüre nicht nur meine Wurzeln, nein, da ist auch ein Stab, der mich stützt. Und ich bekomme Ärmchen, kleide mich mit feinem Grün. Trinke Wasser, Sonne, schmecke Dürre, den Wind, atme. Nicht zu schnell wachsen, ich will gerade bleiben. Und ich bin saftig. Hoffentlich nicht zu sehr. Es hat so vierbeinige Wesen, die zupfen an meinen Blättchen. Aua, lasst das sein. Und neben mir, vor und hinter mir stehen Kameraden, die sind wie ich. Manche sind grösser, dicker. Und die Älteren haben schon viel gesehen und erzählen interessante Geschichten. Wie ist das spannend zuzuhören. Diese Erlebnisse.

So wachse ich auf, im Wandel der Jahreszeiten, durchlebe sie. Am wenigsten mag ich den Winter. Natürlich ist das auch schön mit dem ausruhen, aber ich bin dann so kraftlos. Und meine Blättchen so schwer, ich muss sie alle fallenlassen. Und wie kalt es wird, einfach scheusslich. Ich friere bis in meine hintersten Windungen. Aber dann, aber dann geht es vorbei. Es wird wieder wärmer, heller, farbiger, lebendiger, alles erwacht. Wie schön. Und jedes Jahr im Winter schreibe ich ein neues Kapitel in meinen Lebenssaum. Der Förster sagt dem Jahresring. Immer wieder kommt er vorbei und schaut ob ich gewachsen bin. Wir kennen uns nun schon viele Jahre, sind Freunde geworden. Ich werde auch immer kräftiger. Biege und wiege mich im Wind. Ja nicht dagegenhalten sonst wirft er mich um. Tja, ich kann aber gar nicht anders als wachsen. Millimeter um Millimeter. Werden, werden, werden. Und so wachse ich vor mich hin, werde immer grösser, mächtiger, trage eine gewaltige Krone. Sehe Leben entstehen und untergehen.

Wie lange ich hier sein werde? Ich weiss es nicht. Es gibt so vieles das mich niederlegen kann. Aber das kümmert mich nicht. Ich bin ich, wachse. Erzähle nun den Jungen auch Geschichten, geniesse mein Sein. Und führe im Winter mein Jahresringbuch wieder nach. Und eines Tages? Ja, was dann? Dann fliesse ich in einer anderen Form einem anderen Kreislauf zu. Und es beginnt von Neuem. Irgendwann und dann .. ja dann..“